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#Warum der nächste tschechische Regierungschef ein Pirat sein könnte

Warum der nächste tschechische Regierungschef ein Pirat sein könnte



Bald Regierungschef mit Dreadlocks? Ivan Bartoš, Vorsitzender der tschechischen Piratenpartei

Bild: Picture-Alliance

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš steht wegen seines Corona-Managements in der Kritik. Nutznießer könnten die „Piraten“ sein. Sie haben gute Chancen, die nächste Regierung zu bilden.

Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš hat sich immer als Kapitän für die politisch unruhigen Gewässer dieser Zeit gesehen. Nach einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Corona-Krisenmanagement, das der Tschechischen Republik die höchste Infektionsrate in Europa beschert hat, kann es aber gut sein, dass er nach der Parlamentswahl im Oktober von Bord gehen muss.

Niklas Zimmermann

Denn Babiš sieht sich derzeit einem Angriff von „Piraten“ ausgesetzt: Laut einer Umfrage der Agentur Kantar wollen 34 Prozent der Tschechen für das Wahlbündnis aus Piratenpartei und der Bürgermeisterpartei STAN stimmen und nur noch 22 Prozent für die von Babiš geführte Regierungspartei ANO. Und auch das Umfrageinstitut Median sieht erstmals die Piraten und Bürgermeister mit 27,5 Prozent Wähleranteil vor der einst schier unbesiegbaren ANO-Partei mit 24,5 Prozent.

Da in beiden Umfragen rund 17 Prozent der Tschechen das ebenfalls oppositionelle Mitte-rechts-Bündnis Spolu wählen wollen, erscheint erstmals seit vielen Jahren eine Mehrheit der liberalen und konservativen Parteien möglich. Sie wären nach aktuellem Stand der Dinge nicht auf die Sozialdemokraten angewiesen. Diese wollen, sollten sie überhaupt wieder ins Parlament einziehen, wohl nicht ein drittes Mal mit Babiš koalieren. Denn der Ministerpräsident reißt seine Regierungspartner noch tiefer in den Abgrund als die eigene Partei.

Kampf gegen Ämterkumulation

Den Regierungssitz am Moldau-Ufer in Prag entern will Ivan Bartoš, ein 41 Jahre alter „Pirat“ mit schulterlangen Dreadlocks und einem Doktortitel in Informatik. Der Vorsitzende der Piratenpartei führt das Oppositionsbündnis an, das sich in der progressiv-liberalen Mitte verortet. Von Bartoš sind frühere kritische Bemerkungen über die tschechische Nato-Mitgliedschaft überliefert. Er relativierte sie nach dem ersten Parlamentseinzug der Piraten aber rasch. Schon 2017 sind zur Piratenpartei vor allem bürgerliche Wähler übergelaufen, die sich außenpolitisch nach Brüssel und Washington und nicht nach Moskau und Peking orientieren.

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Die Piraten wollen die tschechische Politik grundlegend ändern. Das größte Reizwort für sie ist die „Ämterkumulation“. Die stellvertretende Parteivorsitzende Olga Richterová sagt der F.A.Z.: „Das Problem der Politiker ist ihre Überlastung.“ Wenn sie ihre Kräfte auf zu vielen Schauplätzen einsetzten, verlören sie ihren Fokus. Das gilt auch für die eigenen Reihen: 2018 setzte der neue Prager Oberbürgermeister und Pirat Zdeněk Hřib durch, dass in der Stadtregierung keiner einen Posten erhielt, der nicht auf seine Mandate im tschechischen Abgeordnetenhaus und im EU-Parlament verzichten wollte.

Olga Richterová erzählt von eigenen Erfahrungen mit „lokalen kleinen Mafiosi“ in ihrem Prager Wohnviertel, die verhindert hätten, dass Besucher auf die Zuschauertribüne des Stadtteilparlaments gelangten. „Am Anfang war mein Wille, die unmittelbare Umgebung zu verändern“, berichtet die 36 Jahre alte Politikerin, Übersetzerin und Linguistin. Nun wollen die Piraten mit ihrem Ansatz das ganze Land verändern: „Wir fokussieren uns auf Fakten, Daten und auf gründliche Arbeit.“

Tschechen vertrauen Nicht-Politikern

Aber kann das Mantra des Expertenwissens in einem Land funktionieren, das zweimal einen Populisten wie Miloš Zeman zum Präsidenten gewählt hat? Der Brünner Politikwissenschaftler Vlastimil Havlík findet: durchaus. Es gebe unter den Tschechen eine große Unzufriedenheit mit traditionellen politischen Parteien und eine große Nachfrage nach dem „Neuen“, sagte er der F.A.Z. Schon der Unternehmer Babiš verkaufte sehr erfolgreich eine antipolitische Vision. Doch wegen Interessenkonflikten zwischen Politik und seinen Unternehmen bestehen große Zweifel, ob der Multimilliardär sich ausschließlich für das Gemeinwohl einsetzt. Auch wenn die „progressive“ Allianz aus Piraten und Bürgermeistern in den Umfragen einen Vorsprung vor dem Oppositionsbündnis Spolu hat, ist bis zur Wahl noch vieles möglich.

Dieses Bündnis aus drei Mitte-rechts-Parteien ist freilich dadurch belastet, dass es aus Kräften besteht, die schon an Regierungen beteiligt waren. Die ODS, die am weitesten rechts stehende Partei unter ihnen, fürchtet die Aussicht, als Juniorpartner in eine Regierung mit den Piraten einzutreten. Der frühere Wirtschaftsminister Martin Kuba warnte unlängst vor „extrem linken Ideen“ der Piraten, die im EU-Parlament der Grünen-Fraktion angehören.

Noch bleibt abzuwarten, wer im Herbst stärkste politische Kraft wird. Aber die Piraten machen in der Corona-Krise gehörigen Druck. Sie profilieren sich als Stimme der Freiberufler, von denen es in der Tschechischen Republik sehr viele gibt, aber in der Wählerschaft der Regierungspartei ANO eher wenige. „Wenn das extrem links ist, verneint Herr Kuba die Wirklichkeit“, sagt die „Piratin“ Olga Richterová.

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