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„Russisches Roulette“

Am liebsten hätte der Historiker Pierre Vermeren die Wahl des französischen Präsidenten in den Herbst verschoben. Ein „Desaster“ sei es, dass es keinen Wahlkampf gegeben habe. Mit Pétain hatte er begonnen, von Putin wurde er gestoppt. Frankreich, schreibt Vermeren, kann es sich nicht leisten, auf eine Bilanz und eine Debatte über seinen Zustand zu verzichten: „Man tut so, als sei alles nur halb so schlimm.“ „Zum Glück“ wurde die Kampagne abgebrochen, befindet hingegen Jacques Julliard: Nie zuvor hat der 89 Jahre alte linke Historiker ein derartiges „Sammelsurium an Schwachsinn“ erlebt. Als „russisches Roulette“ bezeichnet er im „Figaro“ die Wahl, deren erster Wahlgang am 10. April stattfindet.

Julliard holt weit aus: „Wir befinden uns in einer Gegenrevolution der autoritären und totalitären Regimes, die sich seit dreißig Jahren vom Streben der Völker nach Freiheit und Demokratie bedroht fühlen.“ Das trügerische „Ende der Geschichte“ datiert er von 1989 und Fukuyama auf die Schlacht von Jena 1806 und Hegel zurück. In der Darstellung seines französischen Exegeten Alexandre Kojève habe Hegel sehr wohl an das Ende der Geschichte geglaubt. Den Hinweis auf Kojèves Agententätigkeit für die Sowjetunion kann sich Julliard nicht verkneifen. Der Überfall auf die Ukraine stelle die Frage nach dem „Sinn der Geschichte“ schlechthin.

Frédéric Beigbeder am 7. Januar 2022


Frédéric Beigbeder am 7. Januar 2022
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Bild: AFP

Von China 1989 über den Arabischen Frühling bis zur Ukraine zählt Julliard die erstickten Revolten auf. Frankreich sei keine „exemplarische Demokratie“, der „Gelbwesten“ entledigte sich Macron über den Geldbeutel und bekämpfte damit das Virus. Er fordert „Generalstände“: „Wie kann man in diesem Land, das den Verstand verloren hat, von einer Partnerschaft mit Deutschland und Führung in Europa träumen?“

Der linke Julliard wird die rechte Valérie Pécresse wählen. Die Republikanerin widerstehe als Einzige dem „demagogischen Rausch“ und mache Vorschläge zum Abbau der „astronomischen Schulden“: „Es wird ihr heimgezahlt.“ Als Pécresse erklärte, sie möchte Leïla Slimani zur Kulturministerin ernennen, reagierte nicht nur die Schriftstellerin mit einem Aufschrei. Vor fünf Jahren hatten sich einflussreiche Intellektuelle gegen Emmanuel Macron engagiert. Michel Onfray verhöhnte ihn als „Gummipuppe des Kapitals“, der neurechte Vordenker Alain de Benoist als „Rattenfänger, von dem uns die Morphologie sagt, dass er manipulierbar und entscheidungsunfähig ist“. Die Intellektuellen waren die Pioniere des Hasses, der Macron entgegenschlägt.

Annie Ernaux


Annie Ernaux
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Bild: EPA

Im aktuellen Wahlkampf, den Éric Zemmour aufgemischt hat, halten sie sich zurück. Wahlparolen werden nicht ausgegeben. Das betrifft nicht nur Macron, auch Sympathisanten anderer Kandidaten sind bekannt, aber äußern sich nicht. Bei den Meetings treten sie nicht in Erscheinung. Wählt Michel Houellebecq Zemmour oder Marine Le Pen? Laurent Binet, der offizielle Chronist von François Hollande im Wahlkampf 2012, unterstützt diesmal den linksradikalen Jean-Luc Mélenchon – allerdings mit der Einschränkung, dass er dies als Bürger tue, nicht als Schriftsteller.

Annie Ernaux (ebenfalls Mélenchon) und Marie Desplechin (Grüne) verweigerten dem Nachrichtenmagazin „L’Express“ die Bestätigung ihres mutmaßlichen Votums. „Seinem Gewissen nach“ müsste er den Grünen Yannick Jadot wählen, sagt Frédéric Beigbeder. „Aber ich klebe keine Plakate“, relativiert auch Jean-Christophe Rufin von der Académie française sein Engagement für Pécresse: „Immerhin weiß sie um die Bedeutung des Buchs.“

Ein spektakulärer Paradigmenwechsel ist im Gang. Er entspricht der Implosion des politischen Systems in Frankreich, die Macron eingeleitet hat. Nach der Wahl wird die Rechte, wie die Linke 2017, einen Urknall erleben. Ein zweites Mal werden die Republikaner den verpassten Einzug in die Stichwahl nicht überleben. Ihr letzter Übervater Sarkozy verweigert Pécresse seine Unterstützung. Er plant mit Macron eine Allianz für die Parlamentswahl. Die extreme Rechte hat ihren Kulturkampf gewonnen und die ideologische Hegemonie erobert: Auf dreißig Prozent kommen Le Pen und Zemmour. Zählt man die Stimmen Mélenchons und einiger Splitterkandidaten hinzu, dürfen Putins Freunde in Frankreich auf eine Mehrheit hoffen. Auch unter solchen Aspekten wird man am Sonntag die Resultate analysieren müssen. In der Stichwahl wird es wohl zur Neuauflage des Duells von 2017 kommen. Schon kurz danach hatten Annie Ernaux und Laurent Binet proklamiert, dass sie nicht nochmals in die Falle tappen und Macron gegen Marine Le Pen wählen würden.

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