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#Wann sind Ausnahmen von der Schuldenbremse erlaubt?

Wären alle Antragsteller persönlich erschienen, die den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklären lassen wollen, wäre der Platz im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts knapp geworden. Alle 197 Mitglieder der Unionsfraktion im Bundestag haben den Normenkontrollantrag an das Karlsruher Gericht unterschrieben, über den der Zweite Senat am Mittwoch verhandelte.

Die Unionsabgeordneten sind überzeugt, dass verfassungsrechtliche Haushaltsgrundsätze missachtet wurden, als nach dem Regierungswechsel im Februar 2022 nicht benötigte Corona-Kredite in Höhe von 60 Milliarden Euro rückwirkend in das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ (EKF) geschoben wurden, mittlerweile umgebaut zum „Klima- und Transformationsfonds“. Die Ampelregierung habe vor allem gegen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verstoßen. Das Urteil wird frühestens in drei Monaten erwartet.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, hob hervor, die Schuldenbremse müsse eine „wirklich starke, materielle Bremswirkung haben“. Es ginge „um Nachhaltigkeit und die Sicherung staatlicher Handlungsfähigkeit“. Deswegen müsse verhindert werden, dass „man sich alle möglichen Vorratskassen anlegt“. Wenn diese Praxis gebilligt werde, „wären in Zukunft alle Dämme gebrochen“, mahnte der CDU-Politiker.

Private Investitionen zurückgegangen

Für die Bundesregierung entgegnete Staatssekretär Werner Gatzer aus dem Bundesfinanzministerium, mit der Überführung der 60 Milliarden Euro in den EKF habe man für Privatinvestoren Planungssicherheit schaffen wollen. Die privaten Investitionen seien infolge der Corona-Pandemie um rund 53 Milliarden Euro zurückgegangen. Wären die Kreditermächtigungen nicht auf den Klimafonds übertragen worden, hätten Förderstopps gedroht.

Die Abgeordneten der Unionsfraktion waren im Dezember 2022 mit ihrem ­Eilantrag gescheitert, den Transfer der Corona-Kreditermächtigungen zu stoppen. Das Gericht hatte aber damals klargestellt, dass es trotzdem möglich sei, dass die überführten Kreditermächtigungen „nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben an eine notlagenbedingte Kreditaufnahme des Bundes“ entsprechen.

Die Schuldenbremse war 2009 eingeführt worden, um die Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte zu sichern. Zugleich wurde aber eine Ausnahmeregelung geschaffen: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, können die Kreditobergrenzen überschritten werden. Dafür ist ein Beschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags erforderlich.

Umstrittene Verschiebung von 60 Milliarden

Die umstrittene Verschiebung der 60 Milliarden in den EKF stützte sich auf diese Ausnahmeregelung. Welche Anforderungen das Grundgesetz an die notlagenbedingte Kreditaufnahme stellt – diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht geklärt. Die Bedeutung des Normenkontrollverfahrens reicht also über die Umwidmung der Corona-Kredite hinaus.

Das Bundesverfassungsgericht betrete „verfassungsrechtliches Neuland“, sagte die zuständige Berichterstatterin, Richterin Sibylle Kessal-Wulf. Eine der zentralen Fragen lautet, ob Kredite nur zu dem Zweck aufgenommen werden dürfen, die unmittelbaren Auswirkungen einer Notlage zu bewältigen oder ob auch mittel­bare Krisenfolgen – hier die pandemie­bedingte Schwächung der Wirtschaft – von der Ausnahmeregelung umfasst werden. Welche Kriterien sind für die Abgrenzung heranzuziehen? Und welche Rolle spielt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit? Wie genau also kann und sollte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei hochpolitischen Notkrediten auf die Finger schauen?

Zu diesen Punkten gab es zahlreiche Fragen von der Richterbank. „Führt die Bekämpfung mittelbarer Folgen nicht ins Uferlose?“, wollte Bundesverfassungsrichter Peter Müller wissen. Und wie sieht es aus mit den Haushaltsprinzipien? Gilt der Grundsatz, dass Haushalte jeweils nach Jahren getrennt aufzustellen sind, auch für notfallbedingte Kredite? Wie Berichterstatterin Kessal-Wulf ausführte, beschäftigt das Gericht außerdem die Frage, was passiert, sollte Karlsruhe zu dem Ergebnis kommen, dass der Transfer der 60 Milliarden in einen Nebenhaushalt verfassungswidrig war. Würde dieser Verstoß auf den gesamten Haushalt 2021 durchschlagen?

Legitimation und Verantwortung verloren gegangen

Die Bevollmächtigten der Unionsabgeordneten, die Rechtsprofessoren Hanno Kube (Heidelberg) und Karsten Schneider (Mainz), versuchten das Gericht davon zu überzeugen, dass die Ausnahmeregelung von der Schuldenbremse eng verstanden werden müsse. Die Finanzverfassung habe eine Schutzfunktion für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auch für künftige Generationen, hob Kube hervor.

Kreditermächtigungen müssten zur Deckung von Ausgaben des jeweiligen Haushaltsjahrs genutzt werden. Andernfalls wäre der unerlässliche Zusammenhang zwischen einer Überschreitung der Kreditobergrenze und der korrespondierenden Übernahme parlamentarischer Verantwortung nicht gewahrt. Durch Umwidmung der Corona-Kredite seien verfassungsrechtliche Legitimation und Verantwortung verloren gegangen.

Die Bevollmächtigten der Bundesregierung, die Rechtsprofessoren Joachim Wieland (Speyer) und Alexander Thiele (Berlin) hoben dagegen die Bedeutung staatlicher Handlungsfähigkeit in Krisensituationen hervor, die der Gesetzgeber mit der Möglichkeit notlagenbedingter Kreditermächtigungen sichern wolle. In dieser Ausnahmesituation stehe der Gesetzgeber der Verschuldung „nicht mehr skeptisch gegenüber“, so Thiele. Es handle sich um einen „dogmatischen Perspektivwechsel“. Deswegen dürfe man nicht allzu strenge Anforderungen an die notlagenbedingte Kreditaufnahme stellen. Auch unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung des Bundes müsse es möglich sein, „dass die Wirtschaft repariert wird“.

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